Bild: Karlheinz Bernhardt
Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts haben sich Aussehen und Struktur unserer Dörfer grundlegend gewandelt. Aus ehemals kleinbäuerlich bewirtschafteten Höfen wurden fast reine Wohn- und
Schlafstätten. Nicht mehr benötigte Scheunen und Ställe stehen heute leer oder wurden durch Umbau Wohnzwecken zugeführt. Und doch gibt es sie noch allenthalben, wenn auch in reduzierter Zahl:
unsere Schwalben. Sie sind auf den Menschen und seine Behausungen so geprägt, dass für sie kein anderes Zuhause mehr denkbar ist. Die Verhaltensforschung hat für dieses Phänomen einen Begriff
geschaffen, der heute zum Allgemeingut geworden ist: Kulturfolger. In der Tat findet man – zumindest in Europa – unsere Rauch- und Mehlschwalben nur noch in oder an Gebäuden. Nur Rötel- und
Felsenschwalben, die in Deutschland allerdings nicht vorkommen, bauen ihre Nester fast ausschließlich außerhalb von Gebäuden.
Der rasante Flug Insekten jagender Schwalben über den Dächern gehört noch immer zum Bild unserer Dörfer. Es erinnert die älteren Menschen an ihre Kindheit, als in jedem Hof Schwalben auf den
Leitungen saßen und zwitscherten. „Ja, damals, als wir noch Vieh im Stall hatten ……..“, so beginnen meist die Berichte derer, die noch das Bauerndorf von vor dem Kriege aus eigener Anschauung
kennen. Aber diese Zeitzeugen werden leider auch immer seltener, und niemand ist damals auf den Gedanken gekommen, einmal die Schwalbenpaare im Dorf zu zählen, weil ihre Zugehörigkeit zum
Landleben einfach eine Selbstverständlichkeit war. Daher wissen wir heute auch nicht mehr genau, wie sich der Bestand in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Es steht zwar zweifelsfrei
fest, dass die Schwalben – gemeint sind hier die Rauch- oder Stallschwalben – abgenommen haben, aber über die Größenordnung kann nur spekuliert werden. Meist blieben nach dem Leerstand der Ställe
auch die Stallschwalben weg.
In Walsorf gab es 1939, also noch vor dem Kriege, 101 Betriebsinhaber mit eigenem Fuhrwerk und somit auch mit einem Viehstall (H. Leichtfuß, Der Wandel Walsdorfs im 19. und 20. Jahrhundert,
Walsdorf 2007, S. 71). Kleinere Stallungen beherbergten 1-2 Brutpaare Rauchschwalben, in größeren dürften es auch mehr gewesen sein. Allerdings gab es schon immer Paare, die kein zweites Paar im
selben Stall duldeten. Geht man von etwa 2 besetzten Nestern pro Stall aus, so betrug der Schwalbenbestand damals mehr als 200 Paare. Eine solche Menge ist heute kaum mehr vorstellbar. Vor dem
Abflug im Spätsommer, wenn sich Jung- und Altvögel sammelten, müssen ja Aberhunderte von Vögeln auf den Leitungen gesessen haben! In dieser Hinsicht kann man wirklich noch von der „guten alten
Zeit“ sprechen, als die Traktoren und Mähdrescher noch keinen Einzug in die Dörfer gehalten hatten. Eine erste vorläufige Bestandsaufnahme erfolgte durch den Verfasser 1998 und ergab nur noch 9
(in Worten: neun) Brutpaare! Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass anfangs noch nicht alle Vorkommen bekannt waren. Aber an der Größenordnung änderte sich auch in den Jahren danach
nicht mehr viel. Bis 2003 betrug die Höchstzahl 10, und erst danach stieg die Zahl auf 37 im Jahre 2007, sank aber dann wieder auf unter 30. Aktuell wurden in dem guten Schwalbenjahr 2011 wieder
37 besetzte Nester in 17 Höfen registriert, also etwas mehr als 2 Paare pro Stall bzw. Hof. Vielleicht gibt es aber in Walsdorf immer noch unbekannte Vorkommen. Daher ergeht hiermit die herzliche
Bitte an alle Gastgeber von Rauchschwalben, die noch nicht namentlich registriert sind, dies Herrn Otto Lehmann telefonisch unter der Nummer 8284 mitzuteilen. Herr Lehmann, der die
Rauchschwalbenzählung seit vielen Jahren vornimmt und mit ihm alle Schwalbenfreunde freuen sich über jeden Neuzugang.
Im Volksmund gelten die geflügelten Mitbewohner von jeher als Glücksbringer, die die Häuser vor Blitzschlag und das Vieh vor Krankheiten schützen. Auch sagt man, dass eine Schwalbe noch keinen
Sommer macht. Schwalben sind überdies sehr ortstreu und kehren alljährlich an ihren angestammten Brutplatz zurück. Da es aber immer weniger Viehställe gab, mussten sie sich notgedrungen
Ersatzquartiere suchen. Vieh im Stall finden sie heute nur noch auf Reiterhöfen. Dort haben sich im Laufe der Jahre teilweise ansehnliche Kolonien gebildet. Die modernen, halboffenen
Großraumviehställe sind zugig und damit als Brutplatz ungeeignet. Nur ausnahmsweise findet man Schwalben immer noch in aufgelassenen Ställen. Als Ersatzquartiere können alle Arten von
geschlossenen Räumen dienen, sofern eine Einflugmöglichkeit bestzeht, z.B. Garagen, Werkstätten, Waschküchen, überdachte Treppenaufgänge, Lagerhallen und sogar Busdepots wie in Bechtheim.
Walsdorf aber hat für Rauchschwalben eine besondere Attraktion zu bieten. Das sind die überdachten Hofeinfahrten, wie sie sich z.B. als ortstypisch geschlossene Front von Gehöften in der
Untergasse darstellen. Ein Brettchen unter einen Deckenbalken genagelt genügt bereits als Nestuntersatz. Interessanterweise brüten nur an diesen Stellen oft Mehl- und
Rauchschwalben einträchtig nebeneinander. Rauchschwalben bauen aber Nester, die nach oben offen bleiben, während das Nest der Mehlschwalbe bis an die Decke reicht, mit Ausnahme
einer kleinen Einflugöffnung.
Mehlschwalben brüten grundsätzlich an Hausfassaden unterm Dach. Ihre Bestandsentwicklung bereitet den Vogelschützern insofern Sorge, als immer mehr Hausbesitzer wegen der leichten
Fassadenverschmutzung die Tiere nicht mehr dulden wollen. Das muss sehr bedauert werden, zumal sich dieses Problem mit Hilfe von Kotbrettern, die etwa 50 cm unter den Nestern angebracht werden
können, doch einfach aus der Welt schaffen lässt. Das Beseitigen von Nestern stellt aber einen Verstoß gegen das Bundesartenschutzgesetz dar und wird bestraft; denn Schwalben sind streng
geschützte Tiere, und ihre Brutstätten dürfen nicht beeinträchtigt werden. Eine Zählung der Mehlschwalben erfolgte erstmals 1997. Mit mehr als 30 besetzten Nestern lag Walsdorf im Idsteiner Land
an fünfter Stelle hinter Idstein-Kern, Wörsdorf, Esch und Heftrich. Die Höchstzahl wurde im Jahre 2000 mit 50 erreicht. Seitdem stagniert der Bestand bei etwa 35 – 45 Brutpaaren. Nur in diesem
Jahr kehrten – bedingt durch günstige Witterungsumstände während des Heimzugs – mehr Vögel zurück, so dass wieder einmal 48 Paare gezählt werden konnten, verteilt auf 20 Häuser, davon allein 10
am Hause Untergasse 5. Hier wohnen offenbar besonders schwalbenfreundliche Menschen! Die Höchstzahl an Rauchschwalben mit 12 besetzten Nestern entwickelte sich in einem ehemaligen Aussiedlerhof,
nachdem dieser als Reiterhof umfunktioniert wurde.
Im Durchschnitt liegt heute der Bestand an Mehlschwalben etwas über dem der Rauchschwalben. Hessenweit beträgt das Verhältnis 2:1 zugunsten der Mehlschwalben. Noch 1954 gab es aber doppelt so
viele Rauchschwalben wie Mehlschwalben. Die Zukunftsperspektiven sind vor allem für die Mehlschwalben nicht so rosig, was man auch an der Entwicklung des Walsdorfer Bestandes ablesen kann. Die
Errichtung von Mehlschwalbenhäusern zur Entlastung der Hausfassaden könnte zwar eine Alternative darstellen, aber leider lassen sich die Vögel nicht so einfach zu einem Umzug bewegen. Beide
Schwalbenarten haben es heutzutage schwer, ihren Bestand zu erhalten. Dafür gibt es mehrere Gründe. Aufgrund zunehmender Versiegelung finden Schwalben z.B. kaum noch feuchte Lehmpfützen, an denen
sie ihr Baumaterial holen können, und auch der zunehmende Pestizideinsatz beeinträchtigt das Heer der Insekten, von denen sie ja schließlich leben. Auch ist unübersehbar, dass gerade in Walsdorf
in den letzten Jahren mehrere Häuser nach Renovierungsarbeiten keine Schwalben mehr beherbergen. Und leider wurden auch noch zusätzlich Vergrämungsmaßnahmen vorgenommen. Es ist daher bedauerlich,
wenn wir Menschen den Schwalben auch noch in ihrer Brutheimat das Überleben schwer machen, wo sie schon auf dem Zug und in ihren Winterquartieren millionenfach Opfer illegaler Verfolgung werden.
Der NABU Idstein, der allen Schwalbenfreunden für ihre Naturverbundenheit dankt, wird sich auch weiterhin um die Walsdorfer Schwalben kümmern und die Bestandsentwicklung aufmerksam begleiten. Die
Schwalbenzähler halten seit Jahren Kontakt mit den Hauseigentümern, die stolz auf 'ihre' Schwalben sind. Man kennt sich und tauscht Schwalbenneuigkeiten aus. So bleibt die Hoffnung, dass unsere
sympathischen Insektenjäger neue Freunde gewinnen und dass sich mit künstlichen Nisthilfen vielleicht auch noch die Zahl der Brutpaare wieder steigern lässt.
Horst Bender